Zurück zur Natur – auch im Spitzensport?
So wird nicht nur der Fußball-Rasen grüner
Sport verbindet Profis, Fans und Hobby-Athlet:innen. Das Motto „Dabei sein ist alles“ gilt allerdings auch für den Wettlauf gegen die Erderwärmung. Eine Gemeinsamkeit: Mit sportlichem Ehrgeiz und einem langen Atem lässt sich auf dem Platz und im Klimaschutz viel erreichen. Wir gehen auf einen Streifzug durch die Folgen des Klimawandels und erfolgreiche Öko-Projekte, von unserer Region bis in die Hochtäler Nordindiens.
Beim Nachwuchs für Nationalmannschaften denken wir in der Regel an Jugendleistungszentren mit großen Spielfeldern, Fitnessräumen und Sporthallen. In der Kika-Serie „Schau in meine Welt“ führt uns eine Dokumentation in eine andere Welt des Spitzensports – nach Ladakh, einer Provinz auf 3.500 Metern über dem Meer in Nordindien. Hier im Himalaya trainieren Mädchen unter völlig anderen Voraussetzungen, um den Sprung in den indischen Nachwuchs-Eishockeykader zu schaffen. Die 15jährige Deachen erlebt in der Reportage „Eishockey im Himalaya – eine Spielerin in der Klimakrise“ eine besondere Welt des Sports. Das Training findet nur auf natürlichem Eis statt – und damit nur im Winter. Kunsteishallen wie bei uns gibt es nicht.
Kürzere Eislauf-Saison durch wärmeres Klima
Deachen erlebt, wie die Eis-Saison durch die Klimaerwärmung immer kürzer wird. „Früher konnte man ab Anfang Dezember auf den gefrorenen Seen trainieren, jetzt ist schon Mitte Dezember und es gibt noch kein Eis“ erzählt sie. Mit ihren Schulkameradinnen übt sie auf dem Schulhof mit Turnschuhen, Schläger und einem Tennisball den Umgang mit ihren Spielgeräten. Erst Wochen später, nach Neujahr beginnt das Spiel auf Eis – und ein Trainingslager unter freiem Himmel, in dem zehn Mädchen um Plätze im Nachwuchskader für die indische Nationalmannschaft antreten. Ob Deachen es schafft? Das erzählt der Film auch – anschauen lohnt sich, auch wegen den eindrucksvollen Kulissen mit Himalaya-Gipfeln und weiten Eis-Landschaften.
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Eishockey im Himalaya – eine Spielerin in der Klimakrise
In Mitteleuropa existieren solche Probleme nicht. Sportstätten sind technisch perfekt ausgestattet, von der gekühlten Eishalle bis zum klimatisierten Stadion. Vor allem der Fußball bewegt die Massen. Doch gerade unsere Gesellschaft und damit auch der Sport haben einen großen Einfluss auf die CO2-Emissionen und damit die Erderwärmung, die auch die Trainingsbedingungen von Deachen verändert. Das Leben der Eishockeyspielerinnen in Ladakh hat dagegen nur einen minimalen Einfluss auf die Erdatmosphäre: Die durchschnittliche CO2-Emission beträgt in Deutschland etwa acht Tonnen CO2-Äquivalente (CO2e) pro Kopf, die in Indien zwei Tonnen. Der schlichte Alltag von Deachen und ihren Mitspielerinnen dürfte einen nochmals deutlich geringeren Fußabdruck verursachen, auch ohne detaillierte Statistiken für die Provinz Ladakh zu kennen.
Die Welt lässt sich nicht zurückdrehen. Doch die Verantwortlichen können dafür sorgen, dass sich Dinge ändern. Stichwort Massenbewegung: Bei den Heimspielen des
VfB Stuttgart etwa feuern meist über 50.000 Fans ihre Mannschaft an. Der zwölfte Mann – ob weiblich, männlich, klein oder groß – gehört zum Profifußball dazu wie Freistöße, Tore und der Kampf um die Meisterschaft. Natürlich verursacht die Magnetwirkung des Spitzensports immense Emissionen. Man könnte meinen, dass vor allem der Spielbetrieb mit unzähligen Reisen zu Auswärtsspielen und dem Betrieb des Stadions den größten klimaschädlichen Einfluss des Fußballs ausmachen. Doch es sind die Fans, deren Mobilität und Konsum, die beim VfB die höchsten Emissionen verursachen: Im Jahr 2023 rund 70 Prozent des gesamten Fußabdrucks des Vereins – oder 19.000 von insgesamt 26.400 Tonnen CO2e. Die Reisen der Mannschaften und ihrer Betreuer dagegen machten nur 580 Tonnen CO2e aus – etwas mehr als zwei Prozent.

MHP Arena © Dana Gartner
Schockierend? Nein, denn allein die Tatsache, dass der Verein seinen klimarelevanten Fußabdruck kennt und veröffentlicht, ist ein gutes Zeichen. Der VfB hat sich 2019 gemeinsam mit fünf weiteren Profi-Fußballclubs auf den Weg in eine nachhaltigere Zukunft gemacht. Mit dem Programm
Sustain-Club starteten die Clubs gemeinsam mit der Schweizer NGO „sustain///sports und der Prüfgesellschaft DEKRA ein Pilotprojekt, in dem sie zunächst die Wirkung ihres Betriebs anhand nachvollziehbarer Messgrößen in einem Nachhaltigkeitsbericht erfassten und veröffentlichten. Die Kriterien sind öffentlich und umfassen alle Bestandteile des Spielbetriebs, der Verwaltung, der Sportstätten und Gebäude, sowie eben die Menschen, die den Verein und seine Mannschaften begleiten. Damit zeigt ein solcher Bericht auch, wo die größten Hebel liegen, damit beim Fußball nicht nur den Rasen grün glänzt.
Angebote statt Verbote
Steffen Lindenmeier leitet den Bereich Nachhaltigkeit beim Verein mit dem roten Brustring. Er verantwortet damit das Monitoring der Klima-Einflüsse des Betriebs ebenso wie die Maßnahmen, um den Verein nachhaltig aufzustellen. Für ihn ist klar, dass bei den höchsten Emissionen auch besonders viel zu holen ist. Vor einigen Jahren etwas kamen noch über 40 Prozent der Fans mit dem eigenen Auto zu Heimspielen. Für den Nachhaltigkeitsbericht 2023 hat der Verein ermittelt, dass bereits zwei Drittel der „Fan-Mobilität“ mit dem ÖPNV, zu Fuß oder mit dem Fahrrad unterwegs war.
Daran arbeitet der VfB weiter: Jedes Heim-Tickt berechtigt heute zur kostenlosen Fahrt im VVS-Gebiet. Seit 2022 stehen im Neckarpark zu Heimspielen 400 kostenlose, bewachte Fahrradparkplätze zur Verfügung. Mit einer eigens dafür gestarteten App können Fans ihre umweltfreundliche Anreise tracken und bekommen dafür bei jedem Spieltag ein kostenloses Getränk. Es gibt zwar Wasser statt Stadionbier, doch immerhin spendiert der Verein ein Goodie fürs saubere Ankommen.
Was bringt’s? Gegenüber 2021 verbesserte sich der Club bereits deutlich in der Nachhaltigkeits-Liga. „Mit einer Gesamtpunktzahl von 177 aus 194 möglichen Punkten (91 %) erzielte der VfB Stuttgart eine deutliche Steigerung der Nachhaltigkeits-Performance und hat im sustainClub-Zertifizierungsprozess die Auszeichnung Gold erreicht“, berichtet Lindenmeier im Nachhaltigkeitsbericht 2023. In den flossen viele der beschriebenen Aktivitäten noch gar nicht ein, so dass es im kommenden Nachhaltigkeitsbericht 2025 klar Richtung Klima-Champions-League gehen dürfte.
Parkplatz mit Powerstation
Die Mobilität der Fans ist auch abhängig von der Lage des Stadions. Während zum VfB dank guter Stadtbahn- und S-Bahn-Verbindungen mittlerweile mehr als zwei Drittel der Fans öffentlich anreisen, kommen zu den Heimspielen der TSG Hoffenheim noch immer sehr viele Zuschauer mit dem eigenen Auto. Die Reportage „Tore für die Umwelt“ zeigt Staus und proppevolle Parkplätze beim Heimspiel der Kraichgauer – trotz Mobilitätskonzepten wie Kombitickets für die Fahrt aus umliegenden Gemeinden und Bushaltestellen direkt vor dem Stadion. Immerhin werden die Parkplätze zum Teil sinnvoll genutzt: Seit 2014 sind einige davon mit Photovoltaikanlagen überdacht. Facility Manager Joachim Bohn räumt ein: „Es ist ein ziemlicher Aufwand, die Anlagen auf Carports zu montieren, doch am Ende kann man die Flächen doch sinnvoll nutzen.“ Auch sonst stellen sich die Kraichgau-Kicker klimafreundlich auf, etwa indem sie das Regenwasser vom Stadiondach in einer riesigen Zisterne sammeln, damit den Rasen bewässern und Toilettenspülungen versorgen. Autogramme der Fußballprofis lässt die TSG auf „NetZero“-Karten drucken, in denen der Rasenschnitt der Fußballplätze verarbeitet wird. Geschäftsführer Jan Mayer fördert solche Ideen und setzt auf nachhaltiges Kopfkino statt Verbote: „Wenn wir eine langfristige Verhaltensänderung wollen, dann müssen wir die Leute darauf ansprechen, dass es um eine Haltung geht“, erklärt er seine Strategie für den klimafreundlichen Fußball. Was er auch anstrebt: „Ein Stadion, das keinen Restmüll mehr produziert“. Mehrwegbecher kommen in immer mehr Stadien zum Einsatz, auch etwas beim VfB. In Hoffenheim haben die Becher keine aktuellen Saison-Motive und lassen sich so über eine Saison hinaus immer wieder füllen – und leeren. Daneben laden Mülltrenn-Stationen die Stadionbesucher mit flotten Sprüchen zum „Einwurf-Training“ an der „Dreierkette“ aus Papier, Verpackungen und Restmüll ein.
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Tore für die Umwelt
Innen Kraft, außen Kraftwerk
Zurück im Neckarpark: Beim VfB beschränkt Steffen Lindenmaier seine Anstrengungen gemeinsam mit den Club-Planern nicht auf den Spielbetrieb. Auch die Anlagen und Gebäude des Vereins sollen nachhaltiger werden. Ein Aushängeschild dafür ist die 2023 gebaute Athletikhalle – ein nachhaltiges, effizientes Holzgebäude. Drinnen verpulvern die Sportlerinnen und Sportler unzählige Kalorien an Kraftgeräten, während auf dem Dach ein Sonnenkraftwerk mehr als genug Strom für Licht, Wärmepumpe und die Geräte erzeugt. Die brandneue Photovoltaikanlage erzeugt jährlich 48 Megawattstunden (MWh) Strom – so viel, wie rund 20 Durchschnitts-Haushalte verbrauchen. Das Dach des benachbarten Nachwuchsleistungszentrums steuert weitere Anlage rund 35 MWh bei. Auf dem Stadiondach schließlich sollte beim Umbau der Haupttribüne zusammen mit der Landeshauptstadt Stuttgart im letzten Jahr eine Anlage mit nahezu zehnfacher Leistung installiert werden. Doch daraus wurde bislang nichts, wie Stadtrat Florian Pitschel berichtet: „So wie es bisher geplant war, ist es einfach zu komplex“, räumt der VfB-Fan ein. Tatsächlich hätte die Anlage eine aufwendige Ertüchtigung der Statik des Stadiondachs benötigt. Der Plan ist noch nicht vom Tisch, man sucht weiter nach einer Lösung für diese reichweitenstarke, aber konstruktiv anspruchsvolle Dachfläche.
Der erste vegane Fußballclub
In einer anderen Öko-Liga spielen die
Forest Green Rovers – der erste vegane Fußballclub der Welt. Der Verein aus dem westenglischen Nailsworth kickt in der dritten englischen Liga, doch in Sachen Klimaschutz gehört er in die Club-WM. Während beim VfB die Stadion-Rote zumindest aus der Region kommt, serviert die Gastronomie der Forest Green Rovers Bier und Speisen ganz ohne tierische Produkte. Auch der Rasen wird nachhaltig gepflegt – ohne Kunstdünger und Pestizide. Dafür gilt das Motto „Pee for Pitch“ – übersetzt in etwas „Pinkeln für den Platz“. In den Toiletten wird das Abwasser so geklärt und aufbereitet, dass es ohne Bedenken für die Rasenbewässerung genutzt werden kann, statt im Kanal abzufließen.
Klimaschutz im Breitensport – auch in der Region
Im Breitensport sind noch mehr Menschen unterwegs als in den Stadien der Top-Fußballclubs. In der
Sportregion Stuttgart etwa treiben Menschen in den Vereinen der 54 Kommunen, 39 Sportfachverbänden, sechs Sportkreisen sowie am Olympiastützpunkt Stuttgart Sport, begleitet von weiteren tausenden Besucher:innen und Betreuerteams. Auch dabei spielt der Verbrauch an natürlichen Ressourcen und klimaschädliche Emissionen eine wichtige Rolle. Und es gilt: Dabei sein ist alles, beim Sportlichen Wettkampf ebenso wie beim Bewusstsein für eine gesunde Umwelt.
Eine der regionalen Vorreiterinnen für Nachhaltigkeit im Sport ist die
Sportvereinigung Feuerbach. Der Verein hat in den letzten Jahren vielfältige Initiativen für einen nachhaltigen Sportbetrieb ins Leben gerufen und ist damit nicht allein. Im Projekt
Klimafit etwa hat der Verein unter Leitung seines Geschäftsführers Dr. Benjamin Haar gemeinsam mit dem Sportkreis Stuttgart e.V., der Sektion Schwaben des Deutschen Alpenverein e.V. und dem KATE Umwelt & Entwicklung e.V. ein niederschwelliges Klimamanagement-System für Sportvereine entwickelt. Das Programm unterstützt die meist ehrenamtlich geführten Organisationen dabei, ihre Klimabilanzen zu erstellen und daraus Maßnahmen für mehr Klimaschutz zu entwickeln. Das Programm regt Vereine beispielsweise dazu an, Klimapromotor:innen oder Klima-Teams zu bilden, die das Thema intern übergreifend bearbeiten. In einzelnen Lernmodulen trainieren diese Multiplikatoren auf einer digitalen Plattform die Schritte von der Klima-Bilanzierung über die Entwicklung von Konzepten bis hin zur Durchführung konkreter Maßnahmen.
Die Sportvereinigung Feuerbach ist diesen Weg bereits gegangen und hat einen
Nachhaltigkeitsrat ins Leben gerufen, in den der Verein Mitglieder per Zufallsentscheid einlädt und so eine breite Basis für Mitgestaltung schafft. Der Rat behandelt soziale, ökonomische und ökologische Fragen der Nachhaltigkeit im Verein, moderiert von externen, neutralen Moderatoren. So entsteht so etwas wie die interne Version eines Bürgerrates, der hier ebenso wie in öffentlichen Diskussionen die Vielfalt des gesamten Vereins abbildet und Entscheidungen für einen nachhaltigeren Betrieb auf eine breite Basis stellt. Dass die Sportvereinigung mit diesen Maßnahmen auf dem richtigen Weg ist, bestätigt nicht zuletzt die Auszeichnung mit dem erstmals verliehenen
Deutschen Nachhaltigkeitspreis für Sportvereine, den Vereinsgeschäftsführer Benjamin Haar Ende 2023 entgegennehmen durfte.
Nachaltigkeitsberichte, Konzepte und Preise machen noch keinen klimaneutralen Sportbetrieb. Präsident Markus Bott bringt indes das Ziel für seinen Verein auf den Punkt: „Wir haben uns mit der „Road to Paris“ auf den Weg gemacht, als Verein das Pariser Klimaziel einzuhalten. Und wir wollen dort möglichst schnell ankommen.“ Da gilt es: Anfeuern, Anpacken, Ausdauer trainieren und das Ziel im Blick behalten.
Jetzt sind wir gespannt auf Eure Erfahrungen:

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hat mal Elektrotechnik studiert, arbeitet aber seit vielen Jahren als Journalist, Redakteur und Kommunikator. Seit einigen Jahren arbeitet er an der Mobilitätswende mit und schreibt vor allem über Themen mit klimapositiver Wirkung.