Die Klimakrise ist kein Zufall
Rohstoffe, Macht und Widerstand im Herzen des Regenwalds
Zwischen Asche und Gebet
Mitten im brasilianischen Regenwald kniet ein Mann im Staub. Um ihn herum züngeln Flammen. Seine Lippen bewegen sich kaum hörbar, er betet – für jene, die bleiben. Ich bin mit einem Team für Greenpeace unterwegs, auf einer Recherchereise zu fünf Klimakipppunkten unseres Planeten. Was ich im Amazonas sah, war mehr als Klimakrise. Es war die brutale Konsequenz eines Systems, das Natur ausbeutet, Menschen vertreibt und Leben zerstört: der globale Kapitalismus.
Denn wenn wir heute über Zukunft sprechen, über Kipppunkte und Klima, dann müssen wir über Rohstoffe sprechen – und über das Wirtschaftssystem, das ihre Ausbeutung organisiert.
Goldrausch im grünen Herzen
Im brasilianischen Bundesstaat Roraima liegt Gold im Boden – und im Weg: das indigene Territorium der Yanomami. Tausende illegale Goldgräber, sogenannte
Garimpeiros, dringen in den Regenwald ein. Was sie hinterlassen: zerwühlte Böden, vergiftete Flüsse, zerstörte Dörfer.
In Blutproben von Yanomami-Kindern finden sich Quecksilberwerte weit über dem Grenzwert. Währenddessen landet das Gold in westlichen Safes, Techgeräten oder an Handgelenken. Der Profit steigt – die Kosten tragen andere. Die Yanomami haben das nicht gewählt. Aber sie zahlen – mit ihrer Gesundheit, ihrer Sicherheit, ihrer Zukunft.
Was hier passiert, ist kein Einzelfall. Der Kapitalismus funktioniert nach einer einfachen Logik: Natur wird zur Ware, Gewinn entsteht durch Ausbeutung. Schon im Kolonialismus war der Amazonas Rohstoffquelle – seine Bewohner:innen galten als entbehrlich. Diese Denkweise lebt fort: Heute sichern Gesetze oft nicht die Rechte der indigenen Bevölkerung, sondern die Interessen von Konzernen und Investoren.
Gold, Öl, Soja, Rind – sie fließen über globale Lieferketten in den Globalen Norden. Der Regenwald wird behandelt wie eine Tankstelle der Welt. Dabei ist er das Gegenteil: ein empfindliches Klimasystem, das unser Überleben sichert.

© Markus Mauthe / Greenpeace
Wenn der Wald kippt, kippt das Klima
Die Wissenschaft warnt: Das Amazonasgebiet steht kurz davor zu kippen. Wird zu viel Wald zerstört, verliert das Ökosystem seine Fähigkeit zur Selbstregulation. Statt Regen fällt Dürre. Der Wald stirbt – und mit ihm einer der größten CO₂-Speicher der Welt. Manche Regionen haben diesen Punkt bereits überschritten.
Doch was kippt, ist nicht nur Natur. Es kippt ein gesamtes Weltbild: Dass wir immer weiter wachsen, extrahieren, expandieren können – ohne Konsequenzen. Die Klimakrise macht deutlich, dass diese Vorstellung überlebt ist.
Indigener Widerstand als Zukunftsmodell
Die Yanomami und andere indigene Gemeinschaften zeigen, dass es Alternativen gibt. Ihre Beziehung zum Wald basiert nicht auf Kontrolle, sondern auf Koexistenz. Für sie ist der Wald kein Rohstofflager – er ist lebendig.
Die Daten bestätigen das: Dort, wo indigene Landrechte anerkannt sind, bleibt der Wald erhalten. Indigene Völker machen nur 5 % der Weltbevölkerung aus – doch sie schützen 80 % der globalen Biodiversität.
Ihr Wissen ist nicht Vergangenheit, sondern Zukunft. Ein anderes Wirtschaften ist möglich – und vielerorts Realität.
Wer profitiert – und wer zahlt?
Die Verantwortung für die Klimakrise ist ungleich verteilt. Der Globale Norden – allen voran Europa und Nordamerika – hat über Jahrhunderte von billigen Rohstoffen profitiert. Auch heute investieren Banken, Unternehmen und Regierungen in Projekte, die Wälder zerstören und Menschenrechte verletzen.
Dabei geht es nicht nur um moralische Verantwortung, sondern um strukturelle Macht: Wer entscheidet, ob ein Wald fällt oder bleibt? Wer bestimmt, was als „Entwicklung“ gilt – und wer muss mit den Folgen leben?

© Markus Mauthe / Greenpeace
Der Himmel fällt – oder wir halten ihn gemeinsam
Als ich mit Davi Kopenawa, dem Schamanen der Yanomami, in seinem Dorf Watoriki sprach, sagte er:
„Wenn wir sterben, fällt der Himmel.“ Ich hielt das für eine spirituelle Metapher. Doch es ist eine reale Warnung. Denn der Amazonas ist ein Kipppunkt – ökologisch, sozial, politisch.
Der Goldabbau im Regenwald ist kein Randthema. Er zeigt, wie der Kapitalismus funktioniert: durch Ausbeutung von Land, Menschen und Zukunft. Doch er zeigt auch, dass es andere Wege gibt – längst beschritten von jenen, die die Natur nicht besitzen wollen, sondern mit ihr leben.
Und jetzt?
Der Regenwald kann nicht für immer beten. Er braucht Schutz – juristisch, ökonomisch, politisch. Und er braucht Aufmerksamkeit. Wer heute Verantwortung übernehmen will, muss aufhören, den Amazonas als Ressource zu betrachten – und anfangen, ihn als das zu sehen, was er ist: ein lebendiges Herz unseres Planeten.
Der Himmel fällt. Oder wir halten ihn gemeinsam.
Aber das System, das ihn einstürzen lässt, müssen wir überwinden.
ist Journalistin, Speakerin, Moderatorin und Klimaaktivistin. Sie hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Dringlichkeit von Klimaschutz und Nachhaltigkeit verständlich, interessant und modern aufzubereiten – auf Bühnen, Podien oder für Social Media.